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[heft 9] [oktober 2013] wien - st. wolfgang



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Das Paschinger Schlößl
Peter Simon Altmann


Der Frühling hielt dieses Jahr erst mit großer Verzögerung Einzug ins Land. Laut den Experten setzte die Blüte heuer drei Wochen verspätet ein. Die Magnolien auf dem Makartplatz hatten sich selbst Mitte April noch immer nicht ganz geöffnet. Nach der Temperatur zu urteilen, die jetzt herrschte, wird wohl auf den Winter gleich der Sommer folgen. Der Wind, der uns vor ein paar Tagen noch eisig um die Ohren gesaust hatte, war nun eine angenehme Kühlung, und die Frauen zeigten wieder nackte Schultern, Arme und Beine. Ich flanierte neben den gerade geöffneten Schanigärten der Cafés durch die Innenstadt und stieg von der Linzer Gasse aus auf den Kapuzinerberg hinauf.
Der herrschaftliche Sitz – das Schloß mit dem weitläufigen Garten –, wo der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig gelebt hatte, ließ sich heute, da noch kein frisches Laub auf den Bäumen gesprossen war, gut sehen. Was mich jedoch immer etwas irritiert, wenn ich daran vorbeischlendere, ist der amerikanische Briefkasten beim Eingang, der natürlich aus jüngerer Zeit stammte. Ich schlenderte den Zaun entlang und schaute immer wieder in den Garten hinein und auf das mondäne Gebäude.
Stefan Zweig hatte das Anwesen, das im 17. Jahrhundert als erzbischöfliches Jagdschloß gedient hatte und nach dem späteren Besitzer Anton Paschinger allgemein »Paschinger Schlößl« benannt wurde, wahrscheinlich nicht unähnlich wie ich jetzt, zusammen mit seiner ersten Frau während eines Salzburg-Aufenthaltes beim Spazierengehen auf dem Kapuzinerberg entdeckt. Einige Monate später erfuhren sie durch eine Immobilienanzeige, daß das Haus zum Verkauf stand. Zweig wählte Salzburg ganz bewußt als Rückzugsort, um in Ruhe seiner Arbeit nachgehen zu können, und auf Grund seiner geographischen Lage, da er von hier aus leichter zu seinen Reisen aufbrechen konnte als zum Beispiel von Wien aus. Durch den Trubel der Festspiele wurde der Schriftsteller jedoch in seinem Schaffen oft empfindlich gestört, daher er später manchmal nach Zell am See aufs Land flüchtete. Oft war die künstlerische Prominenz zu Gast in der Zweig-Villa gewesen. Ich erinnerte mich an ein Foto, wo Thomas Mann und Bruno Walter auf der Terrasse hier in diesem Garten zu sehen sind. Im Gegensatz dazu wirkte das Paschinger Schlößl nun sehr verwaist, obwohl heute Bettzeug zum Lüften in ein Fenster hing. Aber nie bemerke ich bei meinem Wanderungen auf dem Kapuzinerberg jemanden im Garten gehen, geschweige denn sitzen. Der ganze, herrschaftliche Sitz macht einen unbewohnten Eindruck, vielleicht dient er jemanden nur als Feriendomizil. Von 1919 bis 1934 haben die Zweigs hier gelebt, fünfzehn Jahre. Bedeutende Werke sind in dieser Salzburger Zeit entstanden, wie »Die Sternstunden der Menschheit« oder die Biographien über Joseph Fouché und Marie Antoinette.

pasching schloss Die Tore der gegenüberliegenden Klosterkirche waren weit geöffnet, damit auch in ihren Gemäuern der Winter ein Ende findet. Nach einem kurzen Besuch in der eisigen Kirche, schritt ich nach vorne zur Aussichtsplattform. Unter mir breitete sich die Stadt aus. Der Fluß und die metallenen Dächer der Häuser reflektierten das Sonnenlicht. Eine in Österreich sehr bekannte Journalistin hat ihrem kürzlich erschienenen Erinnerungsbuch den Titel »Zuhause ist überall« gegeben. Das Buch läßt sich in der Innenstadt gerade in den Auslagen der Buchhandlungen sehen. Rufe ich mir die einzelnen Schicksale der aus Österreich Vertriebenen in Erinnerung, erscheint mir der Titel als ein Affront. Der Autorin liegt solch eine Intention fern. Trotzdem: Zuhause ist sicher nicht überall, auch wenn mich ein Blick in den Duden lehrt, daß es einen Plural von Heimat gibt. Ich halte es in diesem Fall mit Jean Améry: »Es gibt keine ’neue Heimat’. Die Heimat ist das Kindheits- und Jugendland. Wer sie verloren hat, bleibt ein Verlorener«; dementsprechend schreibt Stefan Zweig in »Die Welt von gestern«, daß er seit dem Tage, da er mit fremden Papieren oder Pässen leben mußte, sich nie mehr ganz als mit sich zusammengehörig empfand.
Die Generation Stefan Zweigs hatte bereits den Untergang der Habsburgermonarchie als einen Verlust von Heimat erlebt. So notiert Sigmund Freud im Schicksalsjahr 1918 in sein Tagebuch: »Österreich-Ungarn ist nicht mehr. Anderswo möchte ich nicht leben. Emigration kommt für mich nicht in Frage. Ich werde mit dem Torso weiterleben und mir einbilden, daß er das Ganze sei«. In meinem Roman »Der Zurückgekehrte« habe ich mir fußend auf einen Text von Hugo von Hofmannsthal das Luxusgefühl erlaubt, mich in der Heimat fremd zu fühlen, aber auch mit Bedacht die möglicherweise bevorstehende Entwicklung des modernen Menschen aufgezeigt, der Stolz auf seinen Kosmopolitismus, letztendlich irgendwann erkennen muß, daß er sich nirgendwo mehr auf dem Planeten zu Hause fühlt. Was würde es für mich bedeuten, wenn ich morgen Österreich für immer verlassen müßte?
Ich drehte mich um und schaute nochmals auf das Schlößl. Schon 1931 stellte sich Zweig die Frage nach dem Wohin. Zweig wurde von manchen seiner Zeitgenossen und Kollegen immer wieder wegen seiner passiven Haltung kritisiert, da er eben nicht in der Öffentlichkeit entschieden gegen das Regime und gegen den aufkommenden Antisemitismus auftrat. Dem Schriftsteller fiel es wie kaum einem anderen schwer, sich körperlich, aber auch geistig von Österreich zu trennen. Erst als es am 18. Februar 1934 zu einer Hausdurchsuchung hier auf dem Kapuzinerberg gekommen war und Zweig seine persönliche Freiheit bedroht sah, zog er für sich die Konsequenzen und versuchte zunächst in London Fuß zu fassen. Auch wenn er sich das Positive eines neuen Lebensstils einredete, konnte ihn schlußendlich nichts darüber hinwegtäuschen, daß er zu einem Heimatlosen geworden war. Sicherlich gibt es auch andere Erklärungen für seinen Selbstmord, aber den Anschluß Österreichs an Nazi-Deutschland und den damit verbundenen Untergang Österreichs empfand er als einen Todesstoß, wie er in einem Brief an Joseph Roth formulierte; oder wie er es im Vorwort zu »Die Welt von gestern« anders ausgedrückt hatte: »Zwischen unserem Heute, unserem Gestern und Vorgestern sind alle Brücken abgebrochen.«
»Stefan Zweig war ein Dichter, und ein Dichter gibt sich hin; er riskiert sich wie Rilke sagen würde: ausgesetzt auf den Bergen des Herzens. Und Stefan Zweig war ausgesetzt auf den Bergen des Herzens«, verteidigte Oskar Werner bei einer Lesung den Suizid Stefan Zweigs in Brasilien gegenüber der Kritik daran des Schriftstellers Thomas Mann. Mir kamen die Worte des österreichischen Schauspielers in den Sinn, als ich anschließend auf dem anderen Aussichtspunkt unterhalb des Kapuzinerklosters, der sogenannten Hettwer Bastei stand und hinter der Altstadt mit dem Festungsberg die Alpen erblickte. Nur an den Rändern der Berge ließen sich ein paar kleine Wolkenfetzen sehen, ansonsten war der Himmel vollkommen klar, und es herrschte noch dazu ein gute Fernsicht. Im Stadtteil Aigen landeten die vom Gaisberg abgesprungenen Paraglider. Kaiserwetter sagen wir Republikaner noch immer gerne zu solch einer einmaligen Wetterlage. Als Stefan Zweig 1919 von der Schweiz aus nach Österreich zurückkehrte, um sich in Salzburg niederzulassen, hielt zur gleichen Zeit in Feldkirch schicksalsträchtig auf einem anderen Bahnsteig genau jener Zug, der Kaiser Karl und Kaiserin Zita ins Exil brachte. Zweig war sich natürlich der Symbolhaftigkeit dieses Moments bewußt. »In diesem Augenblick war die fast tausendjährige Monarchie erst wirklich zu Ende. Ich wußte, es war ein anderes Österreich, eine andere Welt, in die ich zurückkehrte«, hielt der Schriftsteller zwanzig Jahre später selbst aus der Heimat verbannt diese Begegnung in seinem Erinnerungsbuch »Die Welt von gestern« fest. Nicht von ungefähr hatte Zweig dieses Buch, diese Reminiszenz an Österreichs vergangener Kultur, gerade im Exil zu schreiben begonnen.



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