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[heft 7] [oktober 2012] wien - st. wolfgang



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Der Ganshof
Peter Simon Altmann


Es muß 1996 gewesen sein, vor genau 16 Jahren um diese Zeit, an einem Tag im Februar, oder auch an einem Tag Ende Jänner oder Anfang März. An einem Sonntagvormittag läuteten mich, wie verabredet, meine zwei Freunde Peter Hodina und Bernd Stadler heraus, um zusammen Mittagessen zu gehen. Vor 16 Jahren hatten in Salzburg in der Nebensaison sonntags die meisten Restaurants geschlossen, wir konnten in der Innenstadt jedenfalls partout kein offenes finden, das uns zusagte, bis Bernd den Vorschlag machte, in den Ganshof zu gehen. Dieses Gasthaus käme in dem Buch »Der Untergeher« von Thomas Bernhard vor.

Ich hatte den »Untergeher« auch gelesen, aber gar nicht daran gedacht, daß es dieses Gasthaus in Maxglan wirklich gibt. Wahrscheinlich war ich bei der Lektüre viel zu sehr auf Glenn Gould und den eigentlichen Inhalt des Buches konzentriert gewesen. Der Ganshof spielt in diesem Buch auch keine bedeutende Rolle, und Lokalitäten werden bei Thomas Bernhard, anders wie bei Peter Handke, nie genau beschrieben, und deswegen verliert man wahrscheinlich schnell das Interesse daran. Aber Bernhard durfte den Ganshof sicher gekannt haben. Der Ich-Erzähler rechnet ihn zu den von ihm geliebten Gasthäusern. Beim Eintritt in dasselbe erinnert er sich an einen bestimmten Abend, den er hier gemeinsam mit Glenn Gould und seinem Freund Wertheimer verbracht hatte, und an die ganze Geschichte, die ihn mit diesen zwei Menschen verbindet. Während der Ich-Erzähler den Ganshof betritt, sich in der Wirtsstube stehend nach einem freien Platz umschaut, sich hinsetzt und etwas zum Essen bestellt, fällt ihm in dieser kurzen Zeitspanne alles wieder ein. Das Lokal bildet quasi den Rahmen für die eigentliche Geschichte des »Untergehers«.

Als ich damals mit Bernd Stadler und Peter Hodina in Maxglan das besagte Gasthaus besucht hatte, hatte ich einen Zwiebelrostbraten gegessen. Ein halbes Jahr später bin ich dann nach Mailand übersiedelt und von Mailand nach Wien. Seit sechs Jahren lebe ich aber jetzt wieder in Salzburg in dem gleichen Haus, in dem ich auch 1996 gewohnt habe, nur einen Stock tiefer, und als ich neulich einmal wieder das Buch von Thomas Bernhard in der Hand gehalten habe, erinnerte ich mich an meine zwei Freunde und an den Gasthof. Bernd ist leider in der Zwischenzeit verstorben, mit Peter, der die meiste Zeit jetzt in Berlin verbringt, habe ich aber nach wie vor gelegentlich Kontakt.

ganshof An einem Donnerstagvormittag zu Beginn der zweiten Februarhälfte folge ich gegen Mittag alleine den gleichen Weg durch das Neutor Richtung Maxglan, den ich damals vor 16 Jahren in Begleitung meiner zwei Freunde gegangen bin. Das Gasthaus läßt sich relativ leicht finden, man muß nur, wenn die Neutorstraße sich nach links krümmt, rechts in die Bayernstraße abbiegen und diese bis zum Ende entlangspazieren.

Vor kurzem hat noch in ganz Europa eine seit Jahrzehnten nicht mehr dagewesene Kälte geherrscht, mit etlichen Toten in der Ukraine. Selbst auf Sizilien sind die Temperaturen stark zurückgegangen. Seit vorgestern haben wir jetzt tagsüber aber wieder leichte Plusgrade. Auf den Gehsteigen liegt Matsch, und von den Dächern gehen manchmal Lawinen ab. Es weht ein unangenehmer Wind, die blauen Flecken zwischen der Wolkendecke sich jedoch nur für Augenblicke vergrößern und kurz die Sonne durchlassen. Wenigstens schneit es nicht.

Im Gasthaus angekommen nehme ich auf der gleichen, U-förmigen Bank neben dem Ausschank Platz, auf der ich damals auch mit Bernd und Peter gesessen bin, was mir ein gewisses Gefühl von Vertrautheit beschert. Die Kellnerin hat ein süße Stimme, und ich bestelle mir neben einem kleinen Bier das Tagesmenü eins: Piccata Milanese mit Tomatensauce und Spaghetti.

Der Ganshof hat etwas von einem Landgasthaus, scheint gleichsam ein Zufluchtsort vor der Wut der Matronen für die vorwiegend männlichen Gäste zu sein, die den Ort wie ein zweites Wohnzimmer benützen, hier in Ruhe Zeitung lesen oder Karten spielen. Neben dem Nichtraucherzimmer befindet sich ein Fernsehraum, der bei Sportübertragungen reichlich frequentiert wird, und wo ein Thomas-Bernhard-Porträt des Malers Robert Lehner hängt, der in unmittelbarer Nachbarschaft sein Atelier hat.

Ich bin offensichtlich der einzige Fremde hier, wurde aber trotzdem von einem der Stammgäste in freundschaftlicher Weise im Lokal willkommen geheißen. Der gleiche Mann beklagt sich nun, alleine bei einem Viertel Rotwein sitzend, bei den zwei Männern am gegenüberliegenden Nachbartisch, daß früher der Stammtisch um diese Uhrzeit voll gewesen ist. Ob ihm seine Freunde weggestorben sind oder sie in diesen Tagen lieber zu Hause vor dem Fernseher sitzen, entzieht sich meiner Kenntnis.

Beim Anblick der Piccata Milanese hätte wahrscheinlich nicht nur ein Mailänder die Nase gerümpft. Ein Bekannter hat mich zuvor schon informiert, daß die Küche nun nicht mehr so gut wie früher ist. Das Gericht schmeckt trotzdem.

Es riecht im Ganshof nicht unangenehm nach Essen, und auch der Zigarettenrauch verflüchtigt sich, ich hatte doch befürchtet, daß nach dem Gasthausbesuch mein Gewand fürchterlich stinken würde. Statt den alten Lampen, an die ich mich noch gut entsinnen kann, und deren Schirme aus Tierhaut bestanden hatten, hängen nun bei jedem Tisch neue von der Zimmerdecke herunter. Da sich bei den jeweiligen Ketten jedoch schon eine dicke Staubschicht gebildet hat, läßt sich vermuten, daß diese neuen Lampen auch schon ein paar Jahre hier angebracht sind. Um die Ketten über den Glasschirmen sind Streifen von Faschingsrollen geschwungen, und ein Zettel auf dem Tisch ladet morgen um 20 Uhr zu einem Faschingsgschnas ein. Welche Leute hier wohl kommen werden? – Das beste Kostüm gewinnt, steht auf der Einladung geschrieben, »beste« in Anführungszeichen gesetzt und mit Doppel-S.
Das einzige, was mich in dem Lokal stört, ist die Popmusik, die aus den Lautsprechern über den Ausschank dringt. Vor 16 Jahren hatten sie sicher noch nicht das Radio aufgedreht, oder doch?

Als ich das Gasthaus verlasse, trifft mich im Freien sogleich ein Sonnenstrahl. Der Wind hat sich in der Zwischenzeit gelegt. Obwohl die zwei Schnitzelhälften stark gesalzen waren, liegen sie mir nicht im Magen. Alleine werde ich wohl nicht mehr hierherkommen, vielleicht das nächste Mal zusammen mit Peter Hodina, wenn er wieder Salzburg besucht, oder mit jemand anderem, der sich für Thomas Bernhard interessiert.



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