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Aphorismen (1986-2007)
Astrid Wiesenöcker


Eigens für Dich, lieber Raimund, mit Hintersinn zusammengestellt
und Dir mitgegeben auf den Weg durch die nächsten fünfzig Jahre.



Ich lebe im Epizentrum einer Idiotie, die mein Leben ist.

Größe ist das ständige, wider alle Vernunft Aufbegehren gegen die über uns verhängte Kleinheit.

Die Zeit ist gnädig – sie vergeht.

Aufgrund eines Konstruktionsfehlers meines Wesens war mir was anderen das Einfachste ist, immer schon das Schwierigste, was anderen das Selbstverständlichste ist, immer schon das Abwegigste.

Es gälte das zu akzeptieren, was von selbst aus einem herauskommt (vgl. H. Hesse in der Vorbemerkung zu seinem "Demian") – aber was tun, wenn das inakzeptabel ist?

Durch einen tödlichen Mechanismus wird das Einfache in den Sog meines Denkens hineingezogen und dort so lange aufgespalten, bis kein Überblick mehr zu gewinnen ist.

Mag sein ich kranke nur an meinen Ansichten. Aber was bin ich ohne sie?

Ich habe nicht erwartet, dass das Leben sinnvoll wäre, aber auch nicht, dass seine Sinnlosigkeit so weh tut.

Ich bin nicht verrückt – der allgemeine Wahnsinn zieht nur seine Schleimspur durch mein Gehirn.

Wir müssen uns nach der Decke unserer selbst strecken.

Mein Geist hat mich in die Verzweiflung getrieben, an ihm ist es denn, mir auch wieder den Weg hinauszuweisen.

Keine fürchterlichere Begrenztheit als die durch einen selbst gesetzte, gegebene.

Kein Glück wiegt das Leiden auf, das zu seiner Erreichung ertragen werden musste.

Nichts das zu seiner Erlangung eines Opfers bedarf, ist dieses Opfers wert, kann es nicht sein, denn was durch ein Opfer allein nur zu erlangen ist, diskreditiert sich eben dadurch selbst.

Selbsthass ist nur die Kehrseite der Selbstüberhebung. Wer seine Stärken überbewertet, misst seinen Schwächen zu viel Bedeutung bei.

Im Grunde führe ich das Leben, das ich führen will: Was mich daran nur erschreckt ist, dass das so aussieht.

Etwas unbedingt wissen zu wollen ist mit Sicherheit die ungünstigste Voraussetzung dafür, es zu erfahren.

Ich bin mir die umsichtigste Verwalterin meines stillen Wahns.

Es gibt kein größeres Hindernis für die Zukunft als die Vergangenheit.

Man muss verhindern, dass man das Urteil der anderen an sich vollstreckt, zum Vollstrecker des Urteils der anderen an sich wird. Wer wenn nicht ich soll auf meiner Seite stehen?

Ich bin mir eine meiner würdige Herausforderung.

Was hätte man nicht alles zu tun, wenn man immer täte, was man zu tun hätte! Täte man all das, man käme zu überhaupt nichts mehr.

Solange die Intellektuellen aus ihrem tief sitzenden Hass gegen den Ungeist mit dem Totalitarismus als einziger Methode ihn zu bemeistern liebäugeln, wird die Freiheit auf Dauer keine Chance haben.

Geist schützt nicht vor Ungeist – sie sind aus demselben Stoff.

Dass Leben Kampf ist, mag wahr sein, was ihn aber so unerträglich, weil unentrinnbar macht ist, dass die Kampflinie mitten durch uns hindurch geht, die Front ist in uns, wir sind nicht an ihr.

So stellt man mit den Jahren immer mehr fest, dass was geschehen soll geschieht, gleichsam einem unverrückbaren Plan folgend und man beginnt in dem, was geschieht die Realisierung dessen zu erkennen, was man eigentlich wollte, ja erkennt das Gewollte erst in und durch diese Realisierung. Somit geschieht nichts, das man nicht will. Ist diese Behauptung Selbstbetrug? Wenn ja, gestehe ich ihn mir zu, da ohne ihn auf Dauer nicht gelebt werden kann.

In unserer Generation die Unfähigkeit zum Glück, weil wir nicht bereit sind, uns zufrieden zu geben, Gegebenheiten als solche anzuerkennen. Alles erscheint uns mutwillig über uns verhängt, eigens dazu angetreten, sich uns in den Weg zu stellen, auf dass wir uns daran wund stoßen und aufgeben, absehen davon uns den uns zustehenden Anteil zu holen. Aber uns steht nichts zu. Und was uns vielleicht zustünde, wollen wir nicht und achten wir gering. Erstaunlich aber nicht verwunderlich, dass unser alt gewordenes Jahrhundert es kurz vor seinem Ende noch einmal, ein letztes Mal geschafft hat eine verlorenen Generation hervorzubringen. Was ist eine verlorene Generation? – Eine die vor der Zeit resigniert hat.

Wir vermögen uns selbst im Unglück einzurichten, wenn es nur eine gewisse Gleichförmigkeit aufweist, berechenbar ist.

Wieder einmal sind wir so weit, dass wir dafür sind gegen die zu sein, die dagegen sind.

Wir wissen und verstehen Dinge, von denen wir nicht wissen, dass wir sie verstehen. Was wir zu verstehen und zu wissen in der Lage sind ist größer als wir selbst – es zerreißt uns. Daher die heutige Vorgehensweise der Wissenschaft in einem Arbeitsgang Erkenntnis zu generieren und das Erkannte zu verschleiern.

Das Lachen als philosophischer Zerkleinerungsprozess.

Ich glaube, dass Scheitern Größe hat, wenn man es kann – aber ich kann es nicht.

Vielleicht besteht die die größte künstlerische Leistung darin, sich selbst von seinem Talent zu überzeugen.

Es lässt sich leicht philosophische Schlüsse ziehen, wenn sie ohne Einfluss auf die eigene Existenz bleiben können.

Ich wünsche keiner Philosophie, dass sie sich im Leben bewähren muss.

Das was wir als Welt des Geistes, der Kultur und Kunst bezeichnen ist uns – wenn überhaupt – nur als Phänomen tröstlich, als Fluchtort, durch seine bloße Existenz, nicht durch seine Inhalte.

Man bekommt als Mensch immer, was man will. Der Kunstgriff des Zufriedenseins besteht darin, in dem was man bekommt, auch das zu erkennen, was man wollte.

Menschen sind so lange bereit etwas gut zu finden, bis man sie danach fragt, wie sie es finden.

Das was einen im innersten Wesen ausmacht bestimmt, was einem widerfährt.


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