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[heft 4] [dezember 2011] wien - st. wolfgang



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Kunst und Volk | 1899
Peter Rosegger

Nichts Unrichtigeres kann es geben, als den Anspruch jenes Gelehrten, daß die Kunst – Luxus sei. Die Kunst ist für den Menschen ein Naturbedürfnis, wie das tägliche Brot oder der Rock am Leibe. Ja, wer weiß es, ob der erste Anlaß zur Kleidung nicht das Bedürfnis nach schmückender Kunst gewesen ist! Von allen Künsten dürfte die bildende zuerst den Menschen bei der Hand genommen haben. Wir kennen wilde Völker, die aller Kultur in unserem Sinne bar sind, und sie tätowieren ihre Haut, sie zieren ihre Waffe. Daß unterschiedliche Völker, Volksschichten und Personen zur bildenden Kunst in unterschiedlichem Verhältnisse stehen, das versteht sich. Aber selbst der nüchternste, prosaischeste Geselle vermag es nicht, sich ihr ganz zu entziehen.

Ich will in unserer Zeit für die bildende Kunst drei Arten von Kunstgenießern unterscheiden.

Da gibt es Leute, die bei einem Bilde sich nur für den dargestellten Gegenstand interessieren, die Mache ist ihnen gleichgültig – erste Art, die große Menge des Volkes.

Da gibt es Leute, die bei einem Bilde sich für Gegenstand und Mache gleichmäßig interessieren – zweite Art, die gebildeten Laien.

Endlich gibt es Leute, die sich nur für die Mache interessieren, den Gegenstand als vollkommen nebensächlich betrachten – dritte Art, die zumeist nur bei Künstlern und Kunstliebhabern vorkommt.

Wenn ein Bauer, ein Arbeiter oder ein Mensch aus dem Bürgerstand ein Bild sieht, so ist sein erster Gedanke: Was stellt es vor? Je seltsamer der Gegenstand, je interessanter. Ein wildes Tier, ein Vulkan, ein Schiff im Sturm, eine Schlacht, ein Mord, ein Fürstenaufzug, eine Papstkrönung, ein Erdbeben, bei dem die Türme brechen und aus den berstenden Häusern die Flammen züngeln. Man geht auf das Bizarre. Die Hölle mit Teufeln und Verdammten, blutige Marterdarstellungen aus der biblischen Geschichte oder Heiligenlegende. Auch komische Szenen und Karrikaturen. Man erinnere sich an die Papierbilder auf Haustüren, Stubenwänden, Kapellen und Kegelbahnen. Man denke aus an die Martertafeln und Kruzifixe, die an Wegen und Straßen stehen. Oft die abgeschmacktesten Machwerke. Das Volk sieht oder fühlt die Abgeschmacktheiten garnicht, es sieht gleichsam mit einem inneren Auge nur das, was dargestellt sein soll. Das Christusbild, die Muttergottes mag eine Fratze sein, es sieht hinter ihm die Himmlischen in idealer Schönheit. Der Beschauer mit dem ungeschulten Auge merkt es nicht, daß die Darstellung das Dargestellte bei weitem nicht deckt. Das tut nichts, er freut sich an dem Bilde, es gibt ihm die Anregung, die Stimmung, es ist ihm der Erreger eines inneren Gesichtes, und seine Phantasie vervollständigt alles, das Bild macht ihn gleichsam künstlerisch produktiv. Andererseits hat der Naturmensch doch wieder Formen- und Farbensinn. Die Engel in der Kirche müssen pausbackig sein und recht fette Glieder haben, Wangen und Mund der heiligen Jungfrauen sollen hübsch rot, die Kruzifixe recht blutig sein. Bunte Bände, Fahnen und Kränze, das helle Rot voran, zieren die Bildnisse und Altäre der Dorfkirchen. Es ist bemerkt worden, daß besonders die Slaven Freude an sehr grellen Farben haben.

Wenn dieser Teil des Volkes jetzt eine Raphael’sche Madonna sieht, so wird er sagen, das sei schön, aber noch lange nicht den kolossalen Unterschied empfinden, der zwischen dieser Madonna und etwa einem alten Zerrbild in der Wallfahrtskirche besteht. Das Zerrbild hat vielleicht den Vorteil, daß es sich seit Kindheit ins Menschengemüt eingelebt hat, daß es Stimmungen und Erinnerungen wachruft, daß es vom Glauben verklärt wird, während die neu in die Seelen tretende kunstvolle Madonna dort keinen rechten Platz mehr findet und ohnmächtig bleibt.

Wenn, wie mir ein Freund mitteilte, jener schlichte Landmann in der Bildergalerie vor einem modernen farbenprächtigen Bilde ausrief: „Däs sein Farben!“, so will das besagen, daß der Mann an dem Bilde sonst nichts gefunden hat, als eben – Farben. Daß er von den Farben allein befriedigt war, ist nicht wahrscheinlich, diese Befriedigung hätte er daheim in seinem blühenden Hausgarten oder in seiner Dorfkirche an den grellen Fahnen und bunten Bändern billiger haben können.

Naive Menschen fragen zuerst stets nach dem Was, erst in zweiter Linie nach dem Wie. Und so denken sie auch in der bildenden Kunst wohl an das, was gemacht ist, nicht aber, wie es gemacht ist. – In Bausch und Bogen darf man allerdings auch das nicht behaupten. Dem Alpler wohnt ein größerer Kunstsinn inne, als dem Flachländler, und so sagt sich der Bergbauer vor einem Kunstwerke wohl manchmal verwundert: Sakra, der kann’s! wobei er natürlich an den Künstler und seine Mache denkt. Man hat den Kunstsinn des Älplers von der Vielgestaltigkeit seiner Berge und Felsen ableiten wollen. Ich vermute aber, er hat ihn von den nachbarlichen Italienern und dem uralten Bilderkultus der katholischen Kirche. Draußen im Norden sieht man nur wenige Bildwerke in den Kirchen und gar keine an Gassen und Straßen. Ausgenommen die moderne Denkmalkunst in den Städten. Man kann manchen Deutschen finden, der gerne zur evangelischen Konfession übertreten möchte, wenn ihn die kirchliche Kunst des Katholizismus nicht fesselte. Wenn man der katholischen Kirche den Vorwurf machen kann, daß sie den deutschen Gesang vernachlässigt, so muß man andererseits bedauern, daß der Protestantismus die bildliche Kunst vernachlässigt. Man soll einmal zwischen den Süddeutschen und den Norddeutschen die Volkstrachten vergleichen, die Häuserbauart, die Hausgeräte, die Werkzeuge: ungleich geschmackvoller, malerischer, künstlerischer wird es sich beim Süddeutschen zeigen, dem die bildende Kunst ein treuer Lebensgefährte ist, von der schön bemalten Wiege an bis zum zierlich gedrechselten Grabscheit des Totengräbers. und gleichen Schritt mit der blumigen Thonschüssel, dem kunstreichen Zinnkrug, dem zierlich geformten Axtstiel, der feingeschnitzten Tabakspfeife hält das Volksgemüt in seinen heiteren Scherzarabesken und klingenden Kehlen.

Wie reich sind in einem älplerischen Bauernhause die Stuben mit Bildern geschmückt, vom Hausaltare über dem Tisch an bis zum „Weihbrunn-Christus“ am Türpfosten! Und wenn die Magd ihren Gewandkasten öffnet, so sieht man die zahlreichen Heiligenbildchen, die auf der Innenseite der Kastentür kleben und hängen. Keine Wallfahrt wird verrichtet, ohne daß man bunte Bildlein oder Statuetten oder sonst einen sinnigen Kunstgegenstand mit nach Hause bringt. Denkmünzen mit Heiligenbildern bekommt der Landmensch schon bei der Taufe, solche Denkmünzen trägt er sein Leben lang um den Hals, solche Denkmünzen und Bildchen legen sie ihm in den Sarg. Kurz all Leben und Sterben dieser Leute ist geschmückt mit Bildwerk. Woher diese Kunstsinnigkeit in den Alpen? – Ist es der romanische Blutstropfen? Ist es der Einfluß der kirchlichen Kunst? Ist es die wunderbar gestaltige Bergwelt mit ihren unendlichen Lichtspielen und Klängen? In Tirol, wo die Straßen aus Italien ziehen, sind sie daheim, die Herrgottschnitzer, die Altarbauer und viele große Bildhauer und Maler. Dieses Land beweist, daß auch das Bauernvolk mitsprechen darf, wenn es sich um bildende Kunst handelt. Und gerade die Tiroler bieten uns den richtigen Übergang von der ersten in die zweite Art der Kunstgenießer:

Leute, die sich an einem Bilde für Gegenstand und Mache gleichmäßig interessieren.

Sie fragen mit gleicher Entschiedenheit nach dem Was, als nach dem Wie. Ihnen muß der Gegenstand der Behandlung und die Behandlung des Gegenstandes würdig sein. Die herrlichste Landschaft, die liebliche Idylle ist ihnen zuwider, wenn sie schlecht gemacht ist. und keine wiederlichen, abscheulichen Gegenstand verzeihen sie, selbst wenn er noch so virtuos dargestellt wäre. Ist der Gegenstand unbedeutend, gleichgültig, so fragen sie sich, weshalb der Künstler seinem Können nicht größere Aufgaben stellt. Ist der Gegenstand häßlich, so meinen sie, daß ihn keine noch so vollendete Ausführung schön machen könne. Ja, der widerliche Gegenstand wird in der Hand des großen realistischen Künstlers noch widerlicher als in der des geringeren. Auch große Häßlichkeit kann künstlerisch wirken, wenn sie in ihrer dämonischen Stimmung wiedergegeben ist. Aber das Alltägliche, Uncharakteristische kann nie Gegenstand einer großen Kunst sein. Das technische Virtuosentum allein läßt unser Gemüt kalt.

Die Kunstgenießer der zweiten Art, schmücken ihre Wohnräume weniger mit religiösen, als mit profanen Bildern. Werke nach alten Klassikern, Jagdstücke, Genrebilder, Landschaften vorwiegend. Gute Holzschnitte, Radierungen, Kupferstiche, Stahlstiche, am liebsten natürlich Originale in Öl. Man liebt hübsche, zumeist vergoldete Rahmen. Während es dem Bauern ganz gleichgültig ist, von wem das Bild stammt, das er sein Leben lang in der Stube hängen hat, kümmert sich der gebildete Laie schon angelegentlich nach dem Namen des Künstlers, und ist es wohl wahr, daß er ein Bild mit ganz anderen Augen ansieht, wenn es den Namen eines berühmten Malers trägt. Und bringt es diese Gesellschaftsklasse in einzelnen ihrer Kunstenthusiasten mit Leichtigkeit über sich, das feinste Kunstwerk zu ignorieren, wenn es von einem noch Unberühmten stammt, und einen aufgelegten Schund bis in den Himmel zu preisen, wenn ein berühmter Name dabeisteht. Da hätten wir eine Abart, die im Bildwerk weder dem Gegenstande, noch der Ausführung Wert beilegt, sondern nur den Namen. Im ganzen ist es das Ideal des wirklich Gebildeten, daß der Gegenstand menschlich interessant, genial und fleißig durchgeführt sei. So war das wohl zu aller Zeit und wird es bleiben, und kleine Modeschwankungen werden daran nichts ändern.

Hier möchte ich die Frage einschieben, weshalb der Landmann im allgemeinen weniger der Kunst huldigt, als der Stadtmensch? Da Kunst nicht vom Wissen, sondern vom Können herstammt, so läge sie dem einen just so nahe wie dem anderen, und hätte der Bauer schon die technischen Mittel nicht dazu, so würde er sich mit seinen natürlichen Fähigkeiten begnügen und zufrieden sein damit, wie er’s machen kann. Nein, der Landbewohner gibt sich deshalb weniger mit Kunst ab als der Städter, weil er sie nicht so notwendig braucht wie ein Eingemauerter, welchem die Kunst ein Ersatz für Natur sein muß. Der Städter bedarf des Bildes einer Landschaft selbst. Dem Bauer wird ein abgebildetes Stadthaus oder eine Dampfmaschine interessanter sein, als der schönste Sonnenuntergang auf Leinwand.

Nun zur dritten Art. Das ist die kleinste, aber die leidenschaftlichste. Sie ist die vieler Künstler und Kunstfreunde. Der Gegenstand ist nichts, die Mache ist alles. – Der Gegenstand ist nur das Mittel, um den Zweck einer guten Technik zu zeigen, eine gute Farbenwirkung zu erzielen. Besonders also in der Malerei. Der Gegenstand als solcher kann ganz mißraten sein, so daß man ihn kaum wiedererkennt. Das Bild kann durchaus verzeichnet sein, das macht nichts, der Maler ist ja kein Zeichner, er ist Maler. Die Geheimnisse der Farbe, des Lichtes sind sein Bereich. Wenn es ihm für einen beabsichtigten Farbeffekt paßt, so malt er bei einer Landschaft den Himmel grün, die Erde blau und die Bäume rot. Er erinnert hierin an die alten böhmischen Glasmaler, die ihre Heiligenbildchen ganz in ähnlichem Sinne malten und nachher kauften. Und wenn er überhaupt nicht eine Landschaft, nicht Menschen oder Tiere darstellen will, sondern vielmehr einen Farbenkasten, so hat er ja recht in seiner Art. Man hat es wohl schon gemerkt, daß ich besonders auf die Sezessionisten stichle.

Wir anderen aber hätten – wenn diese neue Art allgemein würde – kein Bild mehr. Wir könnten uns von einer bestimmten Landschaft oder Situation keine richtige Vorstellung mehr fixieren, wir könnten unseren Nachkommen keine treuen Porträts mehr übermitteln. Denn unsere modernen Porträtmaler wollen nicht so sehr die Ähnlichkeit, als vielmehr ein brillantes Kunstwerk schaffen. Und unseren Enkeln wird es wahrscheinlich gleichgültig sein, welcher Farbtechnik der X. mächtig war, sie werden bloß wissen wollen, wie der Großvater ausgesehen hat.

Nun ist es ja aber garnicht so gemeint, wie sie bisweilen sagen, um im Gegensatz zu alten Schulen ihren Standpunkt zu bezeichnen. In der Tat wollen sie doch ihr Können dazu ausnützen, um von etwas ein bestimmtes Bild zu geben. Dann behaupten sie, nur die charakteristischen Momente erfassen und scharf herausarbeiten zu wollen und alles Nebensächliche beiseite zu lassen. Dann möchten sie den Gegenstand über die banale Natur hinausheben, ihm eine besondere Seele einflößen: die Stimmung. Man weiß zwar nicht immer, was man sich unter dem denken soll, was sie Stimmung nennen. – Man sieht, die Absichten solcher Maler und Malerfreunde sind sehr löblich, eigentlich ganz die der alten Meister. Nur daß sie’s nicht so weg haben mit dem Können. Sie malen Studien und in den Studien bleiben sie stecken. das Bild kommt unfertig in die Ausstellung, auf den Markt, und manche finden gerade das ganz entzückend und modern, was im Grunde nichts ist, als die Unfertigkeit und Schlampigkeit.

Durch die unverhältnismäßige Hervorkehrung des Charakteristischen eines Gegenstandes gerät diese Manier mit der Karrikatur zusammen, so daß sie sich besonders für Witzblätter schickt. Durch die einseitige Mache der Farbenwirkung eignet sich solche Kunst ausgezeichnet für Reklamebilder, wie sie sich tatsächlich das Plakat rasch erobert hat. – Karikatur und Reklame, ich weiß nicht, ob die Künstler mit solchen Endzielen einverstanden sind. Sie wollen ja ernst genommen werden. Sie wollen nicht, daß ihre gewiß auch mit Herzblut genährte Kunst Gegenstand der Belustigung sei. Sie wollen doch auch nicht, daß, während ihr Ehrgeiz nach Unsterblichkeit lechzt, ihre Bilder an den Straßenecken ein philisterhaftes Eintagsleben führen sollen.

Dahin kommt es, wenn man geringschätzig und undankbar begangene Straßen zu plötzlich verläßt, um „neue Pfade durch die Wildnis zu suchen“.

Mein persönliches Verhältnis zur bildenden Kunst – wenn davon schließlich auch die Rede sein dürfte – ist ein sehr lebhaftes. Es ist nicht theoretisch, nicht kritisch, es ist unmittelbar empfindend. Eine große Anzahl von alten und neuen Bildern läßt mich zwar gleichgültig, solche aber, die mir gefallen, liebe ich, und solche, die mir mißfallen, hasse ich. Bilder, die eine aufdringliche Manier haben und eigentlich doch nichts sagen, hasse ich ebenfalls. Bilder, die frivol das verneinen, was mir bisher für schön galt und dem ich Genüsse verdanke, hasse ich erst recht. Darum stehe ich mit den Sezessionisten im allgemeinen nicht auf gutem Fuß, wenn mir auch manchmal etwas von ihnen recht wohl gefällt.

Ich stehe bei den Kunstgenießern der zweiten Art: interessanter Gegenstand, gute Ausführung. Aber mir ist auch die erste und dritte Art nicht fremd. Ein halbes Leben lang habe ich es mit jenen kindlichen Kunstgenießern gehalten, denen in einem Bilde der Gegenstand alles, die Mache fast nichts ist. Und ich halte es bisweilen doch wieder mit jenen, die das Hauptgewicht auf die Mache legen. Das ist der Fall, wenn ich gelegentlich einmal selbst – ausübender Künstler bin. Schon als Kind war ich Skulpturist. Wenn die Mutter den Nudelteig auszog, erbat ich mir davon ein Stück Material, aus dem ich dann Figuren knetete, mit Vorlieb den „Herrgott auf dem Kreuz“. Das Kunstwerk wurde dann im Ofen gebacken, um es für die Unsterblichkeit tauglich zu machen, und am nächsten Tage – verzehrt. Aus Papier schnitt ich Häuschen und Bäume, um sie dann auf dem Tische zu einer Landschaft zusammenzustellen. In einer weiteren Epoche dieser Kunstentwicklung griff ich zu Pinsel und Wasserfarben und malte. und derlei treibe ich noch heute in gutgelaunten Stunden. Und zwar ganz modern. Ich male Landschaften, Phantasiestücke, Stimmungsbilder, Karrikaturen. Aber nie etwas nach der Natur, immer nach einem inneren Gesichte. Will ich nach äußeren Vorbildern und Modellen malen, so ist die Hand befangen und ungeschickt und es wird nichts. Es ist viel zu schwer. Male ich Freikonturen, Freilicht, dann geht’s flott voran und es wird was. Wenn auch nicht das zuerst Gewollte, so was anderes. Irgend was. Das Studienmachen ist so lästig, die schrankenlose Willkür ist so lustig. Das ist so genial und es kann nichts mißlingen, denn im schlimmsten Fall ist es ein Symbol, das man nicht zu verstehen braucht, ein Stimmungsbild, bei dem man nichts zu empfinden braucht, weil es ja auch apathische Stimmungen gibt. – Wenn ich mich nun so zum Malkasten setze, so denke ich nicht: Was willst du malen?, sondern: Was kannst du malen? Und gewählt wird ein Gegenstand, wobei ich gerade meine Fertigkeiten am besten anbringen kann. Hauptsache ist mir eben die Mache.

So wird’s auch meinen Kollegen von der Sezession gehen. Je kleiner ein Künstler ist, desto mehr muß er an seine Mache und an ihre Grenze denken, je mehr auch muß er mit verblüffenden Mätzchen arbeiten. Der Große kann jeden beliebigen Gegenstand wählen, er wird ihn ausführen, realistisch und idealistisch zugleich, und daß es die richtige Harmonie gibt zwischen Stoff und Form.

Nun hat aber die bildende Kunst nicht bloß eine ästhetische, sondern auch eine ethische Seite, obwohl diese im ganzen nicht klar zu sein scheint. Moses verbot, von Gott ein Bild zu machen. Andere Glaubensstifter und Kirchen wollen gerade durch Bilder sittlich wirken. Ich glaube fast, daß ein gutes Bild sittlich nicht viel nützen, ein schlechtes Bild aber viel schaden kann. Aus dem Volke, und zwar aus jeder Schichte desselben, lassen sich unzählige Beispiele anführen, wie durch Bilder die Jugend verführt wird. Der Mensch ist noch zu wenig ästhetisch gestimmt, als daß das künstlerische Interesse das sachliche zurückdrängen könnte. Er ist zu naivsinnlich, als daß er sich nicht dem Gegenstand hingebe und ihn auf sein Herz wirken ließe. – Es geht nicht leichthin an, zu sagen: Die Kunst heiligt alles, dem Reinen sei alles rein, und es handle sich nur um das Schönheitsgefühl. Die großen, besonders die antiken Künstler haben es allerdings verstanden, auch das in gewöhnlichem Sinn Unschickliche und Verfängliche mit so reichem Schönheitsglanz zu umgeben, daß im Beschauer die Begierde durch Schönheit betäubt wird. Aber anders steht es, wenn moderne Maler ihre geschlechtlichen Offenheiten ausstellen und den Sinn der Jugend nach Richtungen lenken, wo das sittliche Verderben steht. Solche moderne Maler verstehen es durchaus nicht, ihre Lascivitäten mit dem Glanze der Schönheit zu verhüllen. Wir sahen in neuester Zeit nackte Bilder von so großer Häßlichkeit menschlicher Körper, daß man allerdings versucht ist zu glauben, der Künstler wollte durch die Abschreckungstheorie sittlich wirken. Wenn euch die Schönheit verführt, mochte der Sezessionist denken, gut, so sollt ihr die Häßlichkeit haben! Dem gegenüber steht aber die liebe Jugend ganz auf dem ersten Fall: Der Gegenstand alles, die Mache nichts. – Der größte Stümper kann mit ein paar häßlichen Strichen die Sünde wecken, wenn sie einen so leisen Schlaf hat wie im warmblütigen Menschenleib der Jugend.


aus: peter rosegger: volksreden über fragen und klagen, zagen und wagen der zeit.
verlag e. kantorowicz: berlin 1908, S.135-150.

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