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[heft 3] [september 2011] wien - st. wolfgang



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Von der Kunst zu leben
Armin Anders im Gespräch mit Raimund Bahr | 17. Mai 2002 | Wien


Raimund Bahr
Was bedeutet Theater für dich?

Armin Anders
Das ist schwer, gleich am Anfang.

Was bedeuten Frauen für dich?
Das ist doch einmal eine Frage.

Offensichtlich auch nicht leicht zu beantworten.
Kunst und Frauen. Ich kann ohne beide nicht leben, aber mit den beiden ist es gleichzeitig unmöglich. Ich empfinde das als wirkliches Unglück. Bei den Frauen hat es damit zu tun, daß ich nie wirklich wußte, wie sie sich zu mir verhalten, wie sie mich empfinden. Während man zu Männern ein mehr oder weniger trockenes Verhältnis erarbeiten, entwickeln oder auch einrichten kann, womit das nun auch immer zu tun hat, das wäre eine eigene Diskussion; aber dort, wo ein Begehren und eine Begierde stattfindet, ist es ein konfliktuelles Verhältnis und meine Erfahrung ist, daß es aneinander vorbeigeht - dieses Begehren und diese Begierde. Wo Mann und Frau einander brauchen, manchmal mißbrauchen, als Mensch und Freund - etwas wonach ich mich immer sehne -, da läßt sich im Begehren und in der Begierde nichts realisieren. Es ist immer das eine oder das andere. Entweder ist es eine Beziehung, als Mensch und Freund, oder es ist ein Verhältnis, es ist Erotik und Begehren, dann ist es voller schmerzlicher, eklatanter und nicht aufzuösender, durch Nichts aufzulösender Widersprüche.

Glaubst du, daß das eine anthropologische Konstante ist oder nur für dein Leben ein Problem darstellt.
Einerseits bin ich total subjektiv. Ich denke, daß hat mit meiner unseligen Existenz als kranker Körper zu tun, als dem ich mich von Jugend an empfunden habe, empfinden mußte. Wenn ich mich an was erinnere, dann daran, daß ich immer krank war, zumindest so ab zwölf, dreizehn. In diesem Sinne ist es für mich schwer, die für eine Beziehung notwendige Bestimmtheit über den Körper zu materialisieren bzw. zu kommunizieren. Sicherlich könnte man das aber im Geschlechterverhältnis, das vor allem zuerst ein Körperverhältnis ist, anthropologisch betrachten. Die Begegnung der Körper, der Verstoß gegen seine Grenzen, der Anstoß an seiner Haut, trägt immer schon den Keim des Konflikts und der Gewalt in sich. Also einerseits hat das schon und unbedingt mit mir zu tun, aber andererseits hat das auch mit einer kulturellen Begegnung von Mann-Frau-Körpern zu tun, die das, was sie brauchen, gleichzeitig unmöglich machen. Und bei all dem Gefasel sollte man natürlich nicht die sozio-ökonomische Seite des Problems außer Acht lassen. Die Probleme von Geschichte, Kultur und Religion, also die gesellschaftlichen und sozialen Machtverhältnisse. Nebenbei erwähnt, glaube ich, daß unsere Generation, im Schatten der feministischen Nachkriegsbewegung eine besondere Sozialisation erfahren hat, die zum Problem beiträgt, nämlich: immer im Auge zu haben, was die Frau will und ich als Mann daher soll und muß, gleichzeitig aber von Frauen gesagt zu bekommen, sie brauchen einen Mann, der will und der kann - und alles zusammen und sofort.

Glaubst du, daß sich in deinem Verhältnis zu Frauen etwas verändert hat. Wie war denn das am Anfang. Ich meine bei der ersten Frau wirst du keine existentielle Frage gestellt haben, sondern das wird eher sehr direkt gewesen sein, der Gebrauch der Sexualität. Hat sich da was verändert im Laufe der Jahre oder von Frau zu Frau?
Sicherlich. Der Abgrund ist noch größer geworden zwischen einer praktizierten Sexualität mit Frauen und den partnerschaftlichen Freundschaften, so will ich sie einmal nennen. Meine fantasierte und praktizierte Sexualität hat meistens nichts mit meinen Freundinnen zu tun, mit denen ich mich umgebe. Also meine erfüllte Sexualität existiert abseits, in anderen Bereichen, in sogennanten gesellschaftlichen Grauzonen. Im modernsten Sinne eine Ausdifferenzierung sozusagen. Man könnte es auch ironisch betrachten: ich belästige die Frauen in meiner Umgebung nicht mit meinen Begierden, außer in sehr artikuliert humoristischer Weise, in der ich mich auch gleich selbst mitironisiere. Die tatsächlichen sexuellen Verhältnisse passieren abseits.

Aber du hast ohnehin immer Probleme damit andere Leute zu belästigen.
Immer.

Woher kommt das?
Einerseits denke ich, daß das, was ich mache, einen gewissen Wert hat und ich will das auch zeigen. Ich will auch, daß es auch öffentlich ist und ich will, daß es bemerkt wird und andererseits habe ich eine irre Scheu, die eine groteske Abschottung mit sich bringt, sodaß ich mich kaum äußere über mich, meine Erfahrungen und Emotionen in den eigenen Beziehungen. Es gibt ganz wenige Momente, meist bin ich dann schon mitten in einer gröberen Krise, wo ich dann sage, daß ist „unangenehm“, so ungefähr. Ich äußere mich niemals über meine emotionalen, oder sagen wir besser, inneren Befindlichkeiten. Wenn es mir um etwas geht, in all dem, was ich sage, auch über mich, und tue, in der Kunst, in der Literatur, dann geht es um Befunde: um das zu erfassen, daß zu denken, was heute ist, was ich, bzw. wir, in der unerträglichen Gegenwart bin, bzw. sind. Erst kürzlich habe ich eine Diskussion gehabt, ich weiß nicht mehr mit wem, über meine emotionalen Verhältnisse zu Menschen. Es kam die Kritik, ich sei kalt. Ich denke mir, das ist nicht falsch, wenn man mich in meiner Äußerlichkeit anschaut.

Kalt?
Ja, schon. Ich denke, daß das auch ein gewichtiges Problem ist - neben meinem Körpergewicht -, das Frauen mit mir haben. Ich bin zwar schon ein sehr sehnsüchtiger, manchmal auch wütender Mensch im Begehren, aber in der Beziehung zu Menschen bin ich eigentlich ziemlich trocken, um nicht zu sagen kalt. Das ist also nicht falsch. Jetzt könnte man das analytisch betrachten und sagen, daß das mit purer Angst zu tun hat, und auch das ist im Wesentlichen nicht so falsch. Mit wirklich wenigen Ausnahmen bin ich bisher in meinem Leben von den Menschen, die mir nahe waren, verletzt worden. Da kommt mir ein Satz von Frank Zappa ins Ohr, der einmal gesagt hat: „Ich denke, jeder ist ein Arschloch, bis er mir das Gegenteil beweist“. Ich fand das sehr sarkastisch damals und unerträglich, aber auch das ist nicht falsch.

Du bist also Menschen gegenüber zu erst einmal reserviert, bis sie dir das Gegenteil beweisen.
Das sagten andere von mir. Das ist die Außenbeobachtung. Na ja, ich bin immer freundlich, die meiste Zeit, bis mir jemand dumm kommt, dann bin ich nicht mehr freundlich, aber das ist selten, weniger als selten. Aber das wird ja dann schon wieder ausgelegt als irre Anmaßung anderen Menschen gegenüber.

Das du freundlich bist?
Nein, daß ich dann so sicher und gelassen agiere und mich nicht einbringe in die Kommunikation oder gewissen Menschen nicht wirklich begegne oder alles abblocke und auf small talk reduziere, was ich gut kann.

Du kennst aber auch viele Leute. Und man kann nicht mit allen Menschen tiefgehende Diskussionen haben. Die Massenkultur macht das auch nicht möglich.
Das denke ich auch, aber es stimmt schon, es gibt ganz wenige Menschen, mit denen ich ins Gespräch komme, was jetzt meine emotionalen Verhältnisse betrifft. Über meine Kunst, über die denkerischen Elemente der Welt kann ich monatelang referieren, ohne daß ich wirklich auf andere höre. Aber über mich etwas zu sagen, das geht nicht. Aber das bräuchte es andererseits, weil es wird erwartet, daß man sich einbringt, sonst gilt das als Anmaßung; man muß sich einbringen; es wird allseits erwartet, daß man sich äußert. Ich glaube, da kommen zwei Sachen zusammen, einerseits meine Scheu und andererseits daß wir uns total inmitten einer Entäußerungskultur befinden. Auch die Beichte war für mich immer schon so ein Moment des Elends. Ich empfinde, daß unsere gesamte Kultur eine moderne (säkularisierte) Beichtgesellschaft geworden ist. Früher war es, um sich vor Gott zu reinigen und im Namen Gottes - vor den Autoritäten der Kirche, den Priestern - und jetzt ist es halt so, daß wenn man in die Öffentlichkeit kommt, z.B.: via Television, daß da eine Art Segnung stattfindet über das Medium. Das TV-Gerät als Medium der Absolution und Transzendenz. Und in der öden Wirklichkeit bleibt alles das gleiche Elend. Nichts ändert sich.

Und dein Verhältnis zur Kirche, nicht zur Religion?
Ich denke nach wie vor, daß die karitativen Menschen, die sich einfach sammeln, in diesem Bereich und das muß man auch sagen, daß die Religion, weil sie den Menschen Trost und einen Rahmen gibt, ermöglicht, darin zu arbeiten - in der Hospizbewegung, in der Caritasbewegung, beim Rot-Kreuz usw. -, daß das schon ein wesentlicher Kern von christlicher Religion ist. Die praktizierte Nächstenliebe halte ich nach wie vor für einen Kern menschlichen Zusammenlebens. Die Kirche als politisches Element ist und bleibt eine der verbrecherischten Organisationen der Geschichte.

Du warst ja Ministrant. Damals wirst du ja das nicht so realisiert haben.
Die Konsequenz der Ministrantenexistenz war die konkrete Erfahrung des Todes Gottes. Ich bin da durchgegangen und ich wollte ihm begegnen, ernst und kindlich. Das war so eine unbewußte Sehnsucht und ein Wille, ich gehe jetzt in die Gotteshäuser und ich diene, denn der Ministrant ist der Diener Gottes, aber ich diene und diene und es kommt nichts. Ich meine, alles was du tatsächlich erfährst, ist eine Pfarrer, der Schulkinder schlägt oder die Menschen insgesamt bevormundet und mies behandelt. Was du mitbekommst, ist, daß die Kirche ein Antlitz hat, jetzt könnte man sagen ein menschliches Antlitz wie alle Institutionen, aber eben ein entsetzliches, weil man ja - anfangs zumindestens - tatsächlich glaubt, daß das die Welt des Guten ist oder der Bereich der moralischen Haltung. Wenn du in den Innereien arbeitest, z.B. mit dem Mesner zusammen, der die meiste Zeit alkoholisiert ist, kriegst du mit, daß das ein vollkommen versumpftes und leeres System und hohles Gebäude ist. Ich kenne einige ganz wenige, die bis ins erwachsenen Alter, Ministranten geblieben sind, die meisten sind geflüchtet. Prinzipiell kann man ja bleiben. Man macht dann als Senior - ausgestattet mit falscher Autorität und entsprechendem Imponiergehabe - die großen kirchlichen Feste (Ostern u.a.) und die Veranstaltungen, wo auch am meisten Geld abbleibt. Andererseits, und da kommen wir zum Theater, ich halte die Messe nach wie vor für eines der gewaltigsten theatralen Ereignisse in unserer Kultur, die katholische Liturgie ist und bleibt beindruckend. Man kann - mehr oder weniger - das europäische Drama seit dem Mittelalter als Messe lesen, mit und in all seinen Formen. Und das ist bis ins Zwanzigste Jahrhundert so geblieben.

Wenn du dein Elternhaus beschreiben müßtest, nicht deine Eltern oder die Menschen darin, sondern das Haus selbst.
Das Unglück glaube ich, ich spreche jetzt sehr viel vom Unglück, ich weiß, aber ich meine das nicht so, das wär ein eigenes Gespräch. Das Unglück, glaube ich, war, daß die Eltern auf das Haus der Eltern draufgebaut haben. Der Vater war Kleingewerbetreibender (Schneidermeister), der Sohn, mein Vater, war bei seinem Vater Geselle und dann Meister und hat dann den Vater sozusagen in die Pension gedrängt - wie das halt so ist -, obwohl der im Haus gewohnt hat und gleichzeitig noch jeden Tag sozusagen im Betrieb war. Da war ich dann sechs, sieben Jahre alt, da kam dann auch die Ablösung von der Großmutter, wo wir zuvor gewohnt haben, wo meine Großmutter mich als kleines Kind immer mit dem Fernsehen beruhigte (auch wenn kein Programm war). Wir zogen um ins/aufs Haus des Großvaters mit all seinen Krisen und Konflikten, mit der ablösenden älteren Generation, die trotzdem immer noch überall etwas zu sagen hatte, und sich einmischte, auch mit einem gewissen Erbe des totalitaristischen Naziautoritarismus. Das hat man beim Großvater bemerkt, mit diesem alles bestimmen wollenden Partriachalismus. Er hat immer gesagt, daß sei noch sein Haus, es war ja sein Grund und Boden, und das war der Grund vieler entsetzlicher Auseinandersetzungen meiner Eltern mit deren Elterngeneration. Es war zwar alles konsequent, wenn ich es heute bedenke, ich begreife das, was er verzweifelt versucht hat, zu halten. Aber es war halt ein Elend, weil mein Vater konnte sich nie aus diesem familiär-mörderischen Kreis befreien. Und ist auch dann unglücklich geworden, weil das Geschäft zugrunde gegangen ist. Zwar erst nach dem Tod des Vaters, aber es war ein ziemlicher Existenzbruch, daß er in dem scheitert, was sein Vater aufgebaut hat - obwohl ich denke, daß das mein Vater bis heute ganz anders behaupten würde, aber wir haben niemals darüber gesprochen. Vater ist Versicherungsangestellter geworden. Wir [Kinder] sind später alle nach Wien gezogen. Ich glaube, die Naturwüchsigkeit von Gesellschaft, in der ich da - zufälligerweise - hineingeboren wurde, ist, abgesehen davon, daß wir von Bauern umgeben waren und daß das eine bäuerliche Kultur war, da könnte man viel darüber erzählen, und daß ich da all die Banalität des Grausamen, nicht des Bösen, täglich gesehen habe - ob da Schweine geschlachtet wurden oder Hühner, oder was auch immer -, die Naturwüchsigkeit von Mensch und Gesellschaft erschreckt mich noch heute, wenn ich zu Besuch bin. Diese Naturwüchsigkeit, die stete Wiederkehr des Immergleichen und Genügsamen, die Gesellschaft als Reproduktionsmaschine des Elends und der Misere, war das Unglück unserer Familie und ich glaub auch, daß es das Unglück unserer Kultur ist.

fortsetzung [heft 4 | dezember 2011]

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