Logo Verlag z
e
i
t
s
c
h
r
i
f
t

f
ü
r

l
i
t
e
r
a
t
u
r





litera[r]t [impressum] [verlagsprofil] [einsendungen] [veranstaltungen]
[heft 16] [september 2018] wien - st. wolfgang



blättern [zurück] [weiter]
[verlag] [zeitschrift] [archiv] [verein]
[autor|inn|enindex] [reihenindex] [textindex]
Nordwärts und zurück

Charlotte Ueckert


(Bergen – Trondheim – Bodö – Tromsö – Kirkenes – Vardö - Lofoten – Bröunöysund und Zwischenstationen)


Schreib Gedichte auf der Reise
Lautet der Auftrag
Statt auf den Bildauslöser
Zu drücken suche ich
Wortmaschinen im Kopf
Anderman
Tasman Pazifik
Die Nordsee jetzt
Dem Golfstrom nach
Gen Norden wie ich gehorche
Als wäre ich eine
Bei der automatisch
Eingeschaltet die Lichter
Im Wortkabinett



Vor den Bergen am Meer die Stadt
Die ihre Konturen mit Abendlichtern spiegelt
Sogar die Brücke nimmt ihren Linienschwung
Das Lichterpuzzle wächst die Flanken hoch
Für die Weite zum Lachen
Für den Wolkenkitzel sowieso
„Unser Dunkeln gegen Euer Funkeln
Erdgestirn zärtlich
Umschlungenes Ausläufermodell“



Ein Kaiser auf Reisen im Union Hotel
Schlief in demselben Bett
Wie Edvard Grieg und Karen Blixen
Lag auch im Himmelbett
Musik und Dichtung zusammen
Mit der Macht in einem Tal
Am Ende des Fjords
Bleibt die Zeit stehen
Die Gästezimmer beschriftet Museum
Doch wenn ich will darf ich auch
Wie der letzte deutsche Kaiser
Ohne seine Kleider



Die Beherrschung des Wassers
Durch Brücken und Boote
Deiche und Pfahlbauten
Eine Hütte am See
Hausboote auf trägem Kanal
Umspültes Felsengewirr
Klumpenberge unbewohnbar
Während das Schiff
Mein Bett vorbeischiebt
Anrufe aus dem Alltag
Als wär ich hier nicht fremd



Zählbar die Lichter am Felsgestade
Dahinter eisige Kegel
Bei ihnen denkt niemand ans Schmelzen
Bei schwerem grau-niedrigem Himmel
Nicht an das Klima
Wenn etwas schmilzt rinnt es nass
Ab ins Nordmeer
Da bleibt kein sauberes Skelett
Schon gar nicht eine berühmte Mumie



Weil sie weit weg von zu Hause wollen
Leben die Menschen hier
Oder sie sind in dieser Kargheit geboren
Und finden den Absprung nicht
So groß wie die Mittelstadt
In der ich zur Schule ging
Ist dies die Hauptstadt Paris
Des Nordens genannt
Die Kleinstadt im Süden
In der ich manchmal lebe
Hat ein städtisches Flair
Die Häuser dort sind verschachtelt
Und die Sicht oft verstellt
Hier reiht sich ein Dach an das andere
Alle mit Meerblick weiß vor grau



Am Schutthaufen der Erde leben
Kalte Gipfel darüber
Und immer das Meer das Meer
Das gierig-weiß den Fels umschlingt
Und niemals wegfließt
Es kann sich nur um die Eroberung
Der Silhouette mit den Augen handeln
Himmel und Moose sind zwar farbbegabt
Aber zeigen es nicht jedem
Lang lebt der Berg
Die Wasserfälle noch vom Sommer
In ihren Schluchten ausgetrunken
Sichtbare Lebensspuren kräftig gesetzt



Grauer Schleier vor den Sternen
In Regenbogenform
Milchstraßenband mutierend
Zum grünen Schillern
Kreisende Wirbel
Zuckende Fransen
Ein Gott schaut herab
So laut wir auch schreien
Überall Blitzlichtgewitter
Fast kein Mensch ohne Apparat
Vor den Augen es jubeln nur die
Mit dem Kopf im Nacken
Jammern wenn alles Wundern
Im Herzen erlischt



Leben am Ende
Des Fjords oben
Am Rande Europas
Den Garten bestellen
Im Sommer rund um die Uhr
Die nächtliche Schlafenszeit
Wann immer du willst im Winter
Die Nachbarn laden zum Saufen ein
Die Fremden starren wie wilde Tiere



Selbst hoch im Norden fällt irgendwann
Der erste Schnee des Jahres
Immer noch ein Kinderzauber
Gläsern bedeckt sind kleine Seen
Aber unter einer Brücke
Drückt der Fjord mit salziger Macht
Gegen das Süßwasser
Hier wimmeln Fische
Alles bewegt sich noch
Wartet der Winter



Eisesklirren und Schneeketten
In winzigen bösen Dörfern
Der Sand knirscht hell
Unter dem Mond
Eine Prozession durchs Dünental
Wo das Meer schlägt
Gespenstisch zum hölzernen Bau
Vollgestopft mit Namen
Von Fischerfrauen und Schamanen
Sogar die berühmte Louise
Bourgois war an diesem Endpunkt
Von Welt und schuf einen Feuerstuhl
Gesäumt im Rund von Hohlspiegeln
In denen sich unsere Gesichter
In schauderndem Vergnügen und
Einem zurückgeworfenen Schmerz
Verzerren unter Feuersäule und Mond
Der einst alles sah und wusste



Das kann kein Zufall sein
Du staunst auf der Mauer in China
Und rufst mich an
Gerade tränenüberströmt
Mit klopfendem Herzen
Vorn am Bug durchs Meer gesteuert
Zur Schönheit majestätisch
Überwältigt nicht nur im Sturm
Der mich packt mit der Dramatik
Des Untergangs der Sonne glührot
Auf weißbestäubten Felsen
Ein Seelenhammer
Ausgerechnet jetzt verbindet uns der Äther
Da sag keiner mehr was gegen Erleben
Moderner Zeiten im Angesicht von ewiger Dauer



Wie schwierig die Mitte ist
Langweiliges Städtchen
Bröunöysund
Der Novemberregen
Ahnt schwer die Dunkelheit
Der nächsten Monate
Von Süden des Landes bis hier
Und von Norden gleich weit
Eben mittig
Nichts Besonderes
Im Süden geschwungen lieblich
Im Norden spektakulär
Bleibt der Mitte das Gleichgewicht
Einer missgelaunten Waage
Eine Balance zwischen zwei
Widerstrebenden Gedanken
Die ich nicht auf eine Reihe kriege



© bei der autorin

Logo Verlag ein projekt [ag literatur]
blättern [zurück] [weiter]
[verlag] [zeitschrift] [archiv] [verein]
[autor|inn|enindex] [reihenindex] [textindex]