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[heft 13] [juni 2016] wien - st. wolfgang



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DER KRANKE DICHTER.
3 MONOLOGE. (HOMMAGE

AN THOMAS BERNHARD)

Armin Anders


DER KRANKE DICHTER
UND DER FREIE REGISSEUR


ERSTER MONOLOG

Abends, inmitten einer beeindruckenden Bibliothek ohne Fenster sitzt links von der Mitte (der Bühne) im Ohrensessel der DICHTER, etwas abseits, leicht unruhig, steht der FREIE REGISSEUR

Theater von Sterbenden / für Sterbende / Hm

Der DICHTER hustet und atmet schwer

freier Regisseur / sagten sie / Ha

Der DICHTER lacht laut auf, hustet, hält sich dabei niemals die Hand vor den Mund, er inszeniert es förmlich

freier Regisseur / der freien Szene / was für eine Absurdität / was für eine Farce / die sogenannte freie Szene / ist doch tot / vonAnfanganverstorben / eine theatralische Kunstmissgeburt / wissen sie / wie die nationalsozialdemokratischer Politik / nichts anderes / denn eine Totmachergeburt / wissen sie das denn nicht / wo der Staat hinschlägt / da wächst kein Gras mehr / wo der Staat ist / ist nicht als ein strenger Geruch / freie KunstSzene / alleine dieses Wortgefolge / ist ungeheuerlich / niemals auch nur / einen Schilling bekommen / für meine Geistesanstrengungen / meine Literaturunternehmungen / von Jugendzeiten an / nichts bekommen / vom Staat / auch nichts gewünscht / nichts beantragt / und nichts gewollt / unerwünscht / freie Szene

De DICHTER lacht laut auf, hustet, während des Sprechens hustet er weiterhin

ich wurde / ich werde verleumdet / und verhöhnt / vorige Woche erst / angespuckt / spät nachmittags / auf der Kärntner Straße / inmitten von Wien / in Gesicht gespuckt

Der DICHTER atmet schwer ein und aus, schwer ein und aus

heutzutage / wird diese freie Szene / diese sogenannte freie Szene / ja vom Staat / zu Tode / subventioniert / von Anfang an / zu Tode subventioniert / natürlich / von Staatswegen /zu Tode verwaltet / und ruiniert / naturgemäß / ruiniert / und vernichtet / zuletzt / eine Farce /

Der DICHTER atmet schwer

StaatsZuschussEmpfängerSeelen / sind sie / alle / StaatsKunstDienerLeut / ein einziges Narrentum / vom Staat ruhig gestellt / von Anfang an kaltgestellt / und vernichtet zuletzt / wie alles / vom Staat / vernichtet / und zerstört wird / alles / die Natur / die Städte / die Menschen / alles und alle / in Grund und Boden gestampft / von Anfang an / von Barbaren angeführt / in diesem nationalsozialistisch / christlich-römisch-katholisch / reaktionären Ständestaat / geführt / von unsrer infantil senilen / von dieser alltäglich / verstummtversumpften / EinheitsNationalVolksParteiRegierungsStupidität / Tee

Käthchen kommt mit einem Tablett, sie reicht dem DICHTER eine Tasse Tee

Kräutertee / Hm / einst war ich / ein begnadeter Kaffeegenießer / aber ich kann heute / keinen Kaffe mehr trinken / immer wenn ich Melange / sagen will / kommt es mir / nicht über die Lippen / ich denke Melange / und eigentlich denke ich / Mittelmaß / immerzu Mittelmaß / nationalsozialistisch ständestaatlich / allerorts kirchlich bekreuzigte / festgefeierte Mittelmäßigkeit / tiefste Provinzialität / barbarischer Stumpfsinn / alles das / allerorts fortgesetzt / als wäre es / das Natürlichste der Welt / und doch ist es das Absonderlichste / das Schwachsinnigste / das Unerträglichste

Der DICHTER hustet und hustet

dieser Staat / diese Stadt / will keine Kunst / dieser Staat / diese Stadt / will kein Theater / was dieser Staat / was diese Stadt / wollte und will / ist saubere / und sichere Kunst / dieser Staat ist / immer noch / ein ständestaatlicher / er hat nie aufgehört / einer zu sein / nach dem Krieg / ging es weiter / alles wie vorher

Der DICHTER schaut sich um, als ob er etwas gehört hätte

nach 45 / wurde Österreich / nur neu aufgeteilt / unter die sogenannten Lager / schwarzrotschamlos / eine braune / eine unerträgliche Melange / fortgesetzte Niedertracht / eine nationalsozialpartnerschaftliche Niedertracht / keine Stunde Null / nur die Stunde von Nullen / alle von gemeinster Natur / niederträchtig / stumpfsinnig und mitleidlos / naturgemäß

Der DICHTER atmet schwer und schwerer, Stille

ich darf mich / ich darf mich nicht erregen / nur nicht erregen / das schadet / meiner Gesundheit / meine Lungen / füllen sich / mit Wasser / immerzu mit Wasser / wenn ich mich errege / ertrinke ich sozusagen / in mir staut es sich / die Luft bleibt mir weg / das Leben / es wird immer schlimmer / von Tag zu Tag schlimmer / wie die Zustände / ja auch immer schlimmer werden / wo man hinkommt / ein Bedürftiger / wo man hinschaut / ein Armer / oder ein Kranker / oder ein Sterbender / und keiner / der hilft

Stille

freier Regisseur / der freien Szene / sagten sie / was soll das Theater noch / warum das Theater / das Theater / das ist doch ein abgestandenes Museum / eine reine Absurdität / eine aristokratische Absonderlichkeit / das Theater ist doch / eine Sache des 19. Jahrhunderts / des uns allen verhassten / nationalromantischen 19. Jahrhunderts / eine Wunderkammer der Ungeheuer / eine ungeheure / eine ungeheuerliche Ungeheuerlichkeit

Der DICHTER atmet schwer

jedes Wort tut mir weh / ich ringe um meinen Atem / um meine Worte / um jedes Wort / und das mir / dem Dichter / dem Wortakrobaten / dem Geistesmenschen / mit jedem Atemzug / dem elendigen Tod / ein wenig näher

Der DICHTER atmet schwer

und Käthchen schweigt / allezeit / die einzig wirkliche Konsequenz / letztlich / angesichts / der Verfassung der Welt / die einzige Möglichkeit / der Existenz / angesichts / der zerstörten Natur / des vollkommen / zerstörerischen Staates / der vollkommen heruntergekommenen Regierung / der vollkommen verstummtversumpften Menschen / einfach Schweigen / Stille / keine Erregung mehr / kein hoher Blutdruck mehr / einfach Schweigen / wenn nur die Stille / nicht so unerträglich wäre

Der DICHTER ruft, ja schreit

Käthchen / ich rufe sie Käthchen / eigentlich heißt sie ja Margarete / sie ist vor gut vierzig Jahre / zu mir gekommen / direkt aus dem katholischen Internatsanstaltsunwesen / ich weiß / dass sie dort missbraucht wurde / von der Schwester Oberin / im Namen des Herrn / missbraucht / wie wir alle / missbraucht und zerstört / wurden und werden / in den erzkatholischen Boden gerammt / Verlorene sind wir / Gefangene / von Anfang an / Verdammte / verflucht vom katholischen Ungetüm Kirche / 2000 Jahre Geschichte der Verbrechen / nichts kann das gutmachen / nichts kann das aufhalten / die Geschichte geht vorbei / der Glaube bleibt / der Glaube und das Verbrechen / naturgemäß

Der DICHTER schreit

Käthchen

Käthchen tritt auf, setzt sich ihm zu Füßen, der DICHTER hält ihr schroff die Hand entgegen und sie massiert kräftig seine rechte Hand

die Hände ja / die Hände / zeigen den Menschen / nicht dass man / in ihnen lesen könnte / nein / aber sie zeigen / wer der Mensch ist / was ein Mensch ist / unsere Hände / sie brauchen / unser aller Aufmerksamkeit / Käthchen / ist eine feine Handpflegerin / die feinste / eine begnadete Handwerkerin / und Heilsbringerin zugleich /sozusagen

Der Dichter lacht und hustet

sie löst / eine unbeschreibliche Befriedigung / in mir aus / ich weiß nicht / woher sie es kann / aber es ist unbeschreiblich / eine kleine Erregung / die ich mir noch gestatte / die einzigste Erregung / eine Kleinsterregung / sozusagen / alle zwei Tage / einmal

Käthchen massiert offensichtlich kräftiger

Ah / das Schweigen / die Stille / eigentlich müsste man / nach dem Warum fragen / unentwegt / nach dem Warum fragen / weil aber niemand / nach dem Warum fragt / weil es niemand wagt / weil es niemand wagt / sind wir am Ende / bevor wir beginnen / weil wir das Mittelmaß wollen / weil wir das Mittelmaß brauchen / begnügen wir uns / mit uns / und unserer Dummheit / und unserer Feigheit / unserer total-totalitäre Verstummung / unserer fundamental missachteter Versumpfung / ein alltäglich unerträgliches / Erträglichkeitswahnsinnsbedürfnis / faulige Bequemlichkeit allerortens / allseits alleine / um weiter machen zu können / einfach so / weiter zu machen / wie bisher / nur weitermachen / irgendwie weitermachen / fortsetzen / unbedingt / und um jeden Preis / koste es / was es wolle

Der DICHTER hustet, Stille

Weil also

Der DICHTER hustet

Weil also niemand / nach dem Warum fragt / haben wir uns / damit abgefunden / das alles ist / wie es ist / und dass es / so bleibe soll / wie es ist / alle wollen bleiben / naturgemäß / irgendwie / alles soll also bleiben / so wie es ist / die kleinste Veränderung / jeglicher noch so kleiner Wunsch / nach nur einer Veränderung / ist eine Bedrohung / wer Einspruch erhebt / bekommt keinen Zuspruch / wer etwas will / will es nicht lange / und lange nicht mehr / wer auffällt / fällt /

Der DICHTER gibt Käthchen die andere Hand, sie massiert diese ebenso kräftig

dieser Staat / will keine Kunst / der Staat weiß nicht / was Kunst ist / Kultur ist ihm ein Fremdwort / Zivilisation / ein HaßWort / dieser Staat / und seine sogenannten Repräsentanten / dieser EinheitsNationalVolksParteiRegierungsMehrheitsStupidität / ist nichts anderes dann barbarisch / Der Staat / will keine Kunst / und kein Theater / seine Repräsentanten inszenieren / lieber sich selber / lassen sich lieber / leibselbst / inszenieren / immerzu / eine unablässige / eine erbärmliche / Machtschmiere / ein Staatsschauspiel / von dilettierenden / delirierenden / hohlen Popanzen / oberste Politik / HauptUndStaatsAktion / ohne jegliche Aktion allerdings / reaktionäre Reaktion

Der DCHTER atmet schwer

Theater / von Toten / für Tote / ein lustloser / ein sinnloser / ein mörderischer Totentanz / von äußerster Penetranz

Der DCHTER atmet schwer und er hustet einmal kräftig

dieser Staat / und mit ihm / seine sogenannten Repräsentanten / wollen keine Kunst / sie wollen Kontrolle / totale Kontrolle / das ist alles / Überwachung und / Unterwerfung / nichts anderes / allgemeinste BittstellerExistenzen / unmündige Kreaturen wollen sie / unterwürfig Unterworfene / spalte und herrsche / das ist das oberste Prinzip / im wahrsten Sinne des Wortes / das ist die Politik / zum Leben zu viel / zum Sterben zu wenig / je weniger für alle unten / umso besser für die wenigen oben / umso mehr von allem / oben / nicht

Der DCHTER atmet schwer und schwerer

ich muss mich beruhigen / atmen / die kleinste Erregung / und ich bekomme / keine Luft mehr

Der DICHTER schreit plötzlich

Käthchen / mein Fußbad

Käthchen kommt mit einem eher altertümlich anmutenden Wasserkübel, kniet sich hin und stellt seine Füße nacheinander vorsichtig und langsam ins Fußbad

Ah / was für ein Heilbrunnen / Ah / für mein tägliches Fußbad / gebe ich / die ganze Theaterwelt hin / auch das Burgtheater / diese widerlich österreichische GroßIllusion / dieses theatralisierte Auslaufmodell / das nun / voll und ganz / den Managerhaien / überlassen wird / voll und ganz / den politischen Machenschaften / geopfert wird / ein Etwas / an die Spitze gesetzt / das nur ein smartes Lächeln / parat hat / das aber für alle / und alles / das also ist die Politik / das also ist / das GewünschtErwünschte / das einzig GebrauchtZugelassene / Leichenkosmetik / nichts anderes / kein Gesetz / macht ein besseres Theater / Ah / einmal / alle zwei Tage / ein Fußbad / das empfehle ich auch ihnen / das macht / das macht / alles erträglicher / alles / das Leben / das Sterben / die Kunst / die eigene Erbärmlichkeit / Hm / sie wollen etwas ändern / nicht wahr / sagen sie nichts / natürlich / wollen sie etwas ändern / naturgemäß / die Tugend der Jugend

Der DICHTER lacht mehrmals laut auf

ich sage ihnen / nichts ändert sich / sie ändern sich / nichts wird umgestoßen / von ihnen / aber alles / in ihnen / alltägliche Erniedrigung / allgemeinste Ermattung / fortgesetzte Korrumpierung / bis zum letzten Atemzug Demütigungen / das ist alles / was sie erwartet / was sie zu erwarten haben / erwarten sie nichts / wie lange / ist das zu ertragen / glauben sie mir / ich sage es ihnen / nichts ändert sich / sie ändern sich / freier Regisseur / der freien Szene / wo ist das Experiment / wo das Wagnis / frage ich / wo ist die Utopie / wo der Widerstand / das frage ich sie / wo ist die Avantgarde / heutzutage

Käthchen schüttet frisches Wasser in den Kübel

Ah / ich ringe um Luft / und sie um die Kunst / nichts werden sie ändern / nichts / alles wird sich ändern / was gestern war / wird morgen / nicht einmal / mehr ein Wort / wert sein / sie sagen Freiheit / alle schreien nach Sicherheit / sie wünschen Kunst / alle aber verlangen mehr / ausschließlich nach mehr / von allem / vor allem / HauptUndStaatsAktionen / eine nach der anderen / eine einzige Tragödie / wenn es nicht / wenn es nicht / zum TotLachen wäre / es reicht nicht mal zur Farce / so kläglich ist das alles / erbärmlich

Der Dichter lacht und hustet zugleich

Ich ringe um Luft / sie um Kunst / wo ist der Unterschied

VORHANG

[ZWEITER MONOLOG]



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